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Ich gestehe, ich war in China

Chinareise des Kreistags vom 6. – 14. April 2008

„Du reist morgen?! Und? Hast du ein schlechtes Gewissen?!“  Ich reiste und hatte so ziemlich alles im Gepäck, nur kein schlechtes Gewissen: Vorfreude, Reisefieber, Fragen, auch Zweifel, Neugier und Respekt, und die Idee, kritische Gespräche führen zu können.
Eine 20-köpfige Delegation mit Landrat Dr. Haas folgte einer Einladung der Stadt Yichang. Der Landkreis Ludwigsburg pflegt seit fast 20 Jahren eine freundschaftliche Beziehung zu Yichang am Yangtse. Austausch gibt es vor allem im Bereich der Kliniken, der Kunst und den Schulen. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit funktionierte bisher nicht.
In Yichang erwartete uns ein kompaktes Besucherprogramm.  
Eine Busstunde von Yichang entfernt präsentierte man uns das Jahrhundertbauwerk der Region: den Drei-Schluchten-Staudamm. Der Strom, der in diesem Staudamm produziert wird, soll 21 Atomkraftwerke ersetzen. Wunderschöne Flusstäler, kulturgeschichtliche Kostbarkeiten und Millionen von menschlichen Existenzen wurden dem technischen Tempel geopfert. Die Kraftwerksbetreiber priesen die gelungene Harmonie zwischen Mensch, Natur und Technik. Westliche Wissenschaftler beschwören das Gefahrenpotential. Das Kraftwerk des Staudamms erwirtschaftet Milliarden. Doch der Reichtum scheint bei den Bewohnern der umliegenden Städte nicht anzukommen. Das Lohnniveau in China beträgt ein Elftel des unseren. Man wohnt in einfachen, winzigen Wohnungen in einem der vielen Hochhäuser. Gegessen wird an öffentlichen Garküchen. Abends trifft man sich zum öffentlichen Tanzen auf dem Volksplatz. Um 22 Uhr gehen Musik und Lichter aus.
Beim Besuch der städtischen Kliniken beeindruckte, dass traditionelle Methoden chinesischer Heilkunst eine effektive Koexistenz mit höchst modernen Methoden der Medizin eingehen. Die hygienischen Zustände und die Versorgung der Patienten waren für unsere Begriffe völlig unzureichend.
Die Yiling Middle School, Partnerschule des Friedrich-Schiller-Gymnasiums  in Marbach, führte uns eine ungemein positive Stimmung vor Augen, die fast überall im Land zu spüren ist. Die Klassenzimmer platzen schier aus allen Nähten. Ungefähr 70 SchülerInnen teilen sich die kargen Holzbänke, die drückende Enge, einen einzigen Computer und eine Lehrerin. Der Stundenplan sorgt für ganztägiges Lernen bis tief in die Nacht hinein. Die 3000 Schüler und Schülerinnen dieser Schule wetteifern um die begehrten Studien- und Ausbildungsplätze. Alle wollen am Aufschwung teilhaben. Dafür ist keine Schultag zu lang, keine Mühe zu groß. Und alle wollen mal ins Ausland. Kein Land schickt mehr seiner Studenten ins Ausland als China.
Den Künstlern geht es ähnlich. Der Wunsch nach internationalem Anschluss und Austausch ist riesengroß.
Man ist interessiert an allem, was woanders läuft, wie es die anderen so machen, doch Einblicke ins eigene Treiben gewährt man nicht so gern. Bedauert habe ich, dass sich die chinesischen Funktionäre beim Thema städtische Politik nicht in die Karten gucken ließen. Gespräche waren auch aufgrund der Sprachprobleme sehr schwierig, sehr höflich, -  aber eben an der Oberfläche. Politischer Austausch beschränkte sich auf  Freundschaftsbekundungen.
Was hat die Reise nach China nun gebracht? Eine Reise in das Land der Gegensätze, das Land der Superlative, das Land wo Unterentwicklung und Hochtechnologie, Armut und Reichtum so eng zusammen liegen und der Fortschritt förmlich explodiert. Die Reise diente in erster Linie der Völkerverständigung. Wir bekamen einen Eindruck von chinesischen Wertvorstellungen, Alltag, Traditionen und Kultur. Wir konnten selbst erfahren, wie sehr das Nachrichtensystem in China manipuliert und zensiert wird. Wir haben Menschen getroffen, die stolz auf ihr Land sind. Junge Leute, die sich mit den Ereignissen und Entwicklungen ihres Landes solidarisieren. Vermisst habe ich die kritischen Töne. Sehen konnte man sie in den Augen manch älterer Menschen. Gehört habe ich sie nie.
Ich gestehe, ich war in China. Meine Eindrücke waren überwältigend. Und ich habe die Hoffnung, dass durch zahlreiche menschliche Kontakte in China eine selbstbewusste Zivilgesellschaft entstehen kann, die ihre Probleme eigenständig und auf demokratischem Weg lösen wird. Ich denke, wir sind dazu verpflichtet, im Hinblick auf unsere globalisierten Lebensumstände und im Interesse nachfolgender Generationen näher zusammenzurücken und Probleme gemeinsam zu lösen. Die Städtepartnerschaften liefern dazu einen wichtigen Beitrag.

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